HAUSACHER PROTOKOLL

Positionspapier zur Selbstverortung von Spokenword in Deutschland (Hausach, 05.08. – 07.08.2021)

  • Es gibt eine beachtenswerte Vielfalt an produktiven künstlerischen Positionen im deutschsprachigen Raum, die sich dem Spokenword zuordnen. Obgleich diese Szenen bereits handlungsfähig, international vernetzt und in institutionellen Zusammenhängen aktiv sind, bleiben ihnen bislang kulturpolitische Anerkennung und die Förderung als eigenständige literarische Kunstform oft verwehrt.

    Spokenword war nie unpolitisch. In seiner langen Geschichte wurde und wird es weltweit von subalternen und marginalisierten Communitys genutzt, um ihren Widerstand zu artikulieren. Damit sehen wir uns in unseren Aktivitäten in besonderer Weise dem Auftrag zur Solidarisierung verpflichtet und positionieren uns gegen die Diskriminierung von Sintiʾzze und Romʾnja, gegen Anti-Schwarzen Rassismus, Islamophobie und Antisemitismus, gegen Misogynie, Trans- und Queer- feindlichkeit, gegen Milieuchauvinismus, Ableismus, Altersdiskriminierung und alle anderen Formen von Entmenschlichung und gesellschaftlicher Ausgrenzung.

    Das Hausacher Protokoll ist ein Aufschlag zur poetologischen Selbstbestimmung des deutschsprachigen Spokenword. Die Ausführungen beschränken sich auf die laut- sprachlichen Spielarten von Spokenword. Verfasst und ausgehandelt wurde das Protokoll von den zehn Unterzeichnenden unter Berücksichtigung möglichst vieler Perspektiven – es ist vielstimmig, widersprüchlich, unabgeschlossen.

    Wir sind zehn von vielen.

  • Bevor ich anfange zu sprechen ist der Gedanke da, dann überlege ich, wie ich ihn am

    unmittelbarsten vermitteln kann. Dafür benutze ich meinen Körper.

    Bevor ich anfange zu sprechen, ist der Körper schon da.

    Wenn ich meinen Körper auf eine Bühne trage, möchte ich von einem Ich sprechen, das gleichzeitig niemanden etwas angehen, sich nichts verschreiben und für nichts außerhalb von sich stehen soll. Das ist eventuell nicht möglich.

    Spokenword vermittelt stets einen Körper. Spokenword verwirklicht sich mittels eines Körpers. Dieser Körper wird gelesen, gebeugt, dekliniert. Die daraus folgenden Zuschreibungen sind grundsätzlich wirkmächtig, treten im Spokenwordkontext aber besonders offen und transparent zu tage.

    Der Körper auf der Bühne ist Blicken und somit Erwartungen ausgesetzt. Gleichzeitig zwingt seine Anwesenheit zu unmittelbarer Auseinandersetzung, übt Macht aus. Spokenword hat das Potenzial, diese Dichotomie in der Performance selbst zu reflektieren, Macht und Ohnmacht gleichzeitig zu denken.

    Spokenword bedient sich vielmals der Reibungen, Gegensätze, Irritationen, die auch aus der Wahrnehmung von dominierender oder Mutter-Sprache entstehen.

    Sprache und Stimme im Spokenword unterliegen der Körperschaft, d.h. der Vorhandenheit eines bestimmten Körpers, von dem sie ausgehen. Eine klare Richtung oder Ungerichtetheit kann intendiert sein. Auf wen oder was Sprache und Stimme jedoch treffen, und welche Resonanz erzeugt wird, bleibt bis zum entscheidenden Moment des Vortrags und der Rezeption unklar. Die Kunst des Spokenword ist deswegen eine Unmittelbare, sie muss unmittelbar nach ihrem Erscheinen und Passieren verloren gehen und bewusst wiedergefunden werden. Was aufgefunden und reproduziert wird, ist unaufhaltsam der Veränderung unterworfen. Diese Unterworfenheit ist nicht hilflos, sondern kraftvoll. Sie braucht keine Gewalt.

    Alle Kunst ist ihren Bedingungen unterworfen. Das Bekenntnis dazu im Spokenword ermöglicht ein hohes Tempo der Weiterentwicklung.

    Spokenword beweist die unbedingte, unabdingliche Bedeutung der Sprache für die menschliche Existenz. Aus dieser Bedeutung ergibt sich die Untrennbarkeit von Kunstausübung und sprachlich-kultureller Bildung. Die Vermittlung ist zentrale Akteurin im Spokenword, für Künstlerʾinnen wie für Rezipierende. Kunstvermittlung ist vielerorts ausgelagert, als wären die Zwischenräume zwischen Werk und Rezipierenden, Rezipierenden und Werk, im Abseits der Kunst vorzufinden, als ein Unternehmen aus und für Literaturwissenschaftlerʾinnen, Pädagogʾinnen, Fachdidaktikerʾinnen, etc. Je entfernter und abgegrenzter jenes »Off-Shore-Unternehmen« von der Kunst selbst wird, desto paradoxer wird die Vermittlung, weil sie nicht in einem Mitten bzw. Zwischen stattfindet. Vermitteln selbst ist kunstvoll. Wie viele Künste schöpft auch die Vermittlung mit Werkzeugen, die stilprägend, und mit Ressourcen, die werkstiftend sind.

    Mein eigenes Werk mit meiner eigenen Körperschaft zu repräsentieren (Ich, Körper und/oder Stimme), impliziert außertextuelle Eigenschaften, die nicht vom Kontext bestehender politischer Diskurse entkoppelt werden können. Diese sind in anderen literarischen Formen nicht gleichermaßen wirksam.

    Meine Körperschaft hat einen Namen, eine Hautfarbe, eine gegenderte Identität; Aus-Gesprochenes gibt mindestens Hinweise auf meine Herkunft und Geschichte (Dialekt, Akzent, Deutsch als Fremdsprache, Soziolekt etc.), was untrennbar in die Rezeption meines Werks einfließt.

    Die Körperschaft des Werks zu inszenieren, schafft Repräsentationsbedingungen, die in ihrer unmittelbaren kommunikativen Kraft und Vulnerabilität besonderes Augenmerk innerhalb der deutschsprachigen Literatur erfordern. Der physische Einsatz, das damit einhergehende Risiko und die infolge erschwerten Produktions- bedingungen müssen in die Betrachtung und Förderung dieser Kunstform Eingang finden.

    Die Sichtbarkeit und Benutzung des Körpers in Spokenwordkontexten bedeutet im Zusammenspiel mit den herrschenden Körpernormen und Barrieren, dass bestimmte Körper (etwa solche, die normschön, able-bodied, weiß sind – um nur einige Kategorien zu nennen) tendenziell bevorteilt und andere Körper tendenziell benachteiligt sind.

    Der Marmor des Spokenword ist der Schall, das Meißeln ein Modulieren.

    Stimme, Singstimme, Flüstern, Lautäußerungen, akustische Signale – die außerhalb des, aber trotzdem mit dem Körper geschaffen werden – sind Spielarten des weiten Feldes, das sich praktisch überall entfalten lässt, wo kein Schalltod, also reflexionsarmer Raum, zu attestieren ist.

    Modulierter Schall, folgend vereinfacht bloß Stimme genannt, setzt nicht voraus: Geld, Able-bodiedness, eine Abbild- und Reproduzierbarkeit des Sprechens.

    Spokenword ist vielstimmig. Die Stimme im Spokenword ist ein wichtiges Werkzeug der Selbstermächtigung, ermöglicht auch Stimmen gehört zu werden, die in anderen Diskursen ausgegrenzt werden.

    Die Stimme ist im Spokenword der sichtbarste und wirkmächtigste Teil des Körpers.

    Die Stimme ist der unsichtbarste Teil des Körpers.

    Die Stimme ist gespenstisch und alle glauben daran.

    Selbst körperlos in einer Aufnahme werden die Sprechenden in ihrem Sprechen an- oder als etwas (vermeintlich) erkannt.

    Die Stimme erlaubt eine Behauptung und gleichzeitig den Zweifel daran.

  • DescrSpokenword ist eine Handlung. Zwischen Handlung und Rezeption, im Moment der Wechselwirkung von Zeichen und Deutenden, manifestiert sich und ereignet sich das Werk.

    Jedes Werk findet statt. Die Eventpraxis, in der Spokenword situiert ist, verdoppelt diese Ereignishaftigkeit.

    Wenn ich einen Text vor Publikum präsentiere, bin ich gleichzeitig Senderʾin und Sensorʾin. Ich nehme auf und spiele ab. Spokenword bedeutet, Text vorzubereiten und im Moment zu gestalten.

    Die Vorbereitung kann, muss nicht, schriftlich passieren.

    Ein Text existiert, sobald er gedacht, gesprochen, geschrieben wird. Er kann geformt, verflüssigt, festgehalten werden. Eine Aufführung, wie jedes Aussprechen, stärkt einen Text, macht ihn bekannt, verändert ihn. Sprechen und Schreiben können Erinnerung skulpturieren. Es existieren unausgesprochene Spokenwordtexte.

    Der Text wird mit dem Gedanken des Aufführens geschaffen. Der Atem, die Pause wird von Anfang an als wichtiges Element mit einbezogen.

    Spokenword kann Schriftliches hinterlassen. Die Schrift kann zerstückelt sein, kann situativ ausgefüllt, ergänzt, verändert, verworfen werden. Schrift ist eine Figur, die befähigt und behindert. Nicht alle müssen diese Figur annehmen. Das bedeutet: Barrieren loslassen.

    Die Stimme existiert nur im Handeln. Der Spokenwordtext existiert nur, insofern er stattfindet. Widersprecht mir hier.

    Spokenword wird im oder für den Vortrag geschaffen, kann aber auch im Zusammenhang mit Musik- und Soundaufnahmen oder innerhalb von Videos erlebt werden.

    Ich kann eine Aufnahme wieder und wieder abspielen.

    Dadurch, das Livesituationen oft undokumentiert bleiben und Spokenwordpoesie sich nicht eins zu eins in Schrift wiedergeben lässt, bleibt Spokenword momentbezogen.

    Das Wagnis des Situativen macht einen wesentlichen Anteil des Fluidums einer Spokenworddarbietung aus. Schließlich liegt kein Programmblatt aus. Das Stück, das gleich gegeben werden wird, kann noch ausgetauscht werden, noch während ich an die Rampe trete. Ich sorge so im Augenblick, im seismographischen Spüren gemäß dem Kontext der Aufführung, entweder für die Integration, das kollektive Gespür unter den versammelten Menschen oder – je nachdem – für seelische Beunruhigung, kritischen Geist, Schrecken oder Tränen. Sowohl sind Spokenwordkünstlerʾinnen fähig, einer Versammlungssituation zu entsprechen, als auch mit produktivem Kalkül Hörerwartungen zu brechen. Diese Art Text kann verschiedene Sorten der Umgebung bilden: tröstliche oder unbequeme zum Beispiel.

    Der Spokenwordtext wird wiederholt in wechselnder räumlicher und zeitliche Bedingtheit. Er bleibt unwiederholbar. Seine Iterationen sind volatil, anfällig für Störungen, abhängig von Tagesform, Wind, Wetter, etc.

    Der Spokenwordtext ist ein Text der stattfindet in einer Zeit, die durch den Vortrag vorgegeben ist, die nicht beschleunigt oder verlangsamt werden kann.

    Der Spokenwordtext ist ein Text der stattfindet in einem Raum, dem man also ausgesetzt und von dem man umgeben ist, und dem man, je nach Aufführungssituation, nicht entkommt.

    Der Klangkörper ist das Publikum. Der Text klingt und verhallt. Das Publikum kann zurückklingen.
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  • Wo die Sprache aufhört, beginnt das Gedicht. Wo das Gedicht aufhört, beginnt

    Spokenword.

    Was auf dem Papier als verschiedene Textgattungen erscheint, ist im gesprochenen Text nur verschiedenes Material. Der Spokenwordtext wird von zwei Elementen zusammengehalten: seiner inneren Komposition und dem Medium, durch das er stattfindet. Dieses Medium bin ich. Ist mein Körper. Meine Stimme. Es ist darüber hinaus auch, was der Blick der Zuschauenden in alldem liest, was das Ohr der Zuhörenden in alldem hört.

    Spokenword ist eine eigenständige poetische Ausdrucksform, die zentral auf der gesprochenen Sprache basiert und sich genreübergreifend in verschiedenen Medien realisieren kann. Neben der Liveperformance an allen möglichen öffentlichen Orten, auf Bühnen, in Clubs und Kulturinstitutionen, kann Spokenword auch in Audio- und Videoformaten verwirklicht werden.

    Spokenwordtexte weisen eine besondere Nähe zur Musik auf. Oft ist die Sprache selbst musikalischen Gestaltungskriterien strukturiert: Rhythmik, Sprachmelodie, Sprachklang und phonische Elemente spielen eine große Rolle. Spokenwordkünstlerʾinnen arbeiten häufig mit Musikerʾinnen zusammen, und sind nicht selten selbst musikalisch tätig. Umgekehrt arbeiten auch Musikerʾinnen unterschiedlichster Musikgenres mit Spokenword.

    Der Spokenwordpoesie wohnen von vornherein Elemente der Dramatik, des Erzählens, des Tanzes und der Performance inne. Das macht sie anschlussfähig und übersetzbar.

    Spokenword ist unübersetzbar.

    Spokenword weist inhaltlich und formell eine große Bandbreite auf, kann sich politisch, komisch, selbstreflexiv, gesellschaftskritisch; kann sich popkulturell, spielerisch und experimentell verorten bzw. verhalten.

    Wegen seiner Offenheit, seiner Möglichkeiten zur Improvisation und seiner formalen Flexibilität kann Spokenword schnell reagieren. Aktuelle politische, soziale und

    künstlerische Themen werden schneller aufgegriffen und bearbeitet als in anderen Bereichen.

    Wenn ich einen Text spreche, dann kann ich spüren, wenn seine Spannung abfällt. Der Ehrgeiz, das zu verhindern, ist ein dramaturgischer, ist ein kompositorischer Ehrgeiz.

    Kaum jemand hält Notenblätter für die beste Form, Musik zu rezipieren. Es gibt zahlreiche Zwänge und Notwendigkeiten, Spokenwordtexte niederzuschreiben und sie schriftlich zu publizieren. Das kann funktionieren und scheitern. Das stellt aber keine Schwäche dar, sondern ein Missverständnis.

    Spokenword ist per se multimedial. Es existiert als Text, als Audio, als Video, als Ereignis, als Vielzahl. Spokenword hat überall Adapterknoten. Spokenword sehnt sich nach Grenzüberschreitung und Kollaboration.

    Spokenword entzieht sich vielfach der Schrift und widerspricht ihrem Primat, wo es für ein aktuelles und historisches Literaturverständnis behauptet wird.

    Als illiterate Literatur stellt Spokenword einen Tabubruch dar.

  • Mein Bedürfnis war frei entscheiden zu können. Auf welche Art und in welcher Form ich meinen Text schreibe – d.h. spreche –, mit oder ohne Musik, dem Thema oder Anlass entsprechend oder widersprechend. Keiner traditionellen Form zu unterliegen. Eine neue zu generieren. Entstanden ist meine Arbeit instinktiv; als ich Spokenword entdeckte, war ich glücklich eine Kollektivität, auch schon geschichtlich, entdeckt zu haben.

    Die deutschsprachige Spokenwordpoetry weist eine Heterogenität der Ursprünge und literaturhistorischer Bezugspunkte auf: von den Volks- und Kunst-Balladen über Brettlkunst und das literarische Kabarett, über Vertreterʾinnen der Gebrauchslyrik, Dada, die Wiener Gruppe und Jandl, der Klanglichkeit Celans bis zur Widerständigkeit Rolf Dieter Brinkmanns und Social Beat. Zugleich inkorporiert Spokenword auch Teile US-amerikanischer Literaturströmungen und Popkultur. Dies kann als Befreiungsschlag einer deutschsprachigen oralen Tradition verstanden werden, die nach dem Zweiten Weltkrieg sprachlos geworden war.

    Deutliche Einflüsse hatten und haben insbesondere lokale wie internationale Traditionen, die sich u.a. durch Gattungsfluidität, Ereignishaftigkeit, Performativität, durch interaktive und kollektive Praktiken auszeichnen. Spokenwordkünstlerʾinnen verorten sich also in vielfältigen individuellen Traditionslinien, die an klassische, popkulturelle und experimentelle Sprachformen anknüpfen – und schreiben diese fort.

    Meine Wurzeln schlagen sich überall in den Boden. Spokenword bedeutet für mich, dass ich aus allen Quellen Wasser für meine Sprache ziehen kann, leichter als für geschriebene Literatur.

  • Spokenword widersetzt sich der Annahme der vermeintlichen Reinheit einer Kunstform: Text und Stimme reagieren aufeinander, Körper und Raum, Autorʾin und Rezipientʾin. Spokenword widerstrebt auch der Annahme der Abgeschlossenheit des Werks. Ein Text, der nicht gedruckt wird, bleibt in Bewegung, kann weiterwachsen und sich von Vortrag zu Vortrag verändern. Der Text muss mit seiner Premiere nicht aufhören, verändert zu werden.

    Der Text hört auch ganz physisch nicht bei mir auf. Er breitet sich im Raum aus, wenn er den Mund verlässt.

    Spokenwordpoesie wird, zumindest wo sie live stattfindet, kollektiv rezipiert. Das bedeutet, dass sie, ähnlich wie das Theater, immer schon ins Gespräch ragt, dass sie besprochen und ausgetauscht wird.

    Das Kollektive ist im Spokenword und seinen historischen Referenzpunkten naheliegend, wird gefördert und transparent vorgelebt.

    Ich möchte, dass Publikum ansprechen und einen Austausch anstreben, mich aber nicht seinen Reaktionen unterwerfen.

    Ich möchte mich nicht der Relatability unterwerfen oder dem Markt. Ich möchte, dass es eine Tür in mein Gedicht gibt.

    Ich möchte, dass es eine Tür in mein Gedicht gibt oder eine Reihe weniger offensichtlicher Eingänge.

    Ich will alle Türen aufreißen, sperrangelweit.

    Ich möchte Fenster in meinem Gedicht, die Einblick gewähren; in deren Glas du dich spiegelst.

    Ich will, dass meine Worte den Raum verlassen. Die Tür in mein Gedicht ist nicht immer der Text. 


  • Spokenword ist Kunst.

    Alle Kunst ist Unterhaltung und eine Unterhaltung. Sie kommt aus einer Haltung und verhält sich zu den Verhältnissen, die ihr eingeschrieben sind. Im deutschsprachigen Literaturbetrieb wird Spokenword als bloße Randerscheinung gehandelt. Die Ränder sind in der Regel die Orte, die für die Ausgeschlossenen als erstes erreichbar sind.

    Spokenword ist immer schon politisch und ist eine Geschichte kämpferischer politischer Positionierungen. Diese Tradition ist den historisch-politischen Bedingt- heiten der Kunstform geschuldet, die indes nicht explizit zum Ausdruck kommen müssen.

    Spokenword ist immer schon körperlich – wo unsere Körper und ihre Umwelt in Gefahr sind, schreibt sich das in unser Sprechen ein, ob wir wollen oder nicht. Die globalen Solidaritäts- und Nachhaltigkeitskrisen produzieren ein fundamentale und präzedenzlose Bedrohung unserer Lebenswelt, die keinen Lebensbereich unberührt lässt. Das gilt mit besonderer Dringlichkeit angesichts der Vernichtung der planetaren Lebensgrundlagen. Je akuter die Bedrohung, desto größer der Druck, sich als Künstlerʾin politisch zu positionieren.

    Spokenword hat erhöhte Aktualitätspotenziale; es ist ein Sprechen im Jetzt und mit dem Jetzt. Als kollektive poetische Praxis kann Spokenword Räume schaffen, in denen sich Künstlerʾinnen und Rezipientʾinnen konstruktiv, heilsam und solidarisch begegnen.

    Spokenword ist möglich in materieller Mittellosigkeit. Seine behauptete Marginalität kann auch ein Leitbild sein für Rücksicht. Insofern Spokenword auf spezifische individuelle Körper zurückbezogen bleibt, gibt es eine Unverfügbarkeit des Werks, die Warenförmigkeit und Besitzlogik unterlaufen kann und in einem Verständnis von Kunst als zwischenmenschlichem Ereignis eine Alternative aufzeigt. Insofern, als dass seine Werke tendenziell medial fluide, dynamisch und strukturell unabgeschlossen sind, kann Spokenword exemplarisch neue und nachhaltige Lebensweisen und Perspektiven vermittelbar machen.

    Spokenword ist das uneingelöste Versprechen eines herrschaftsfreien Diskurses.

    Aus ebendiesen Gründen darf eine Anerkennung durch etablierte Kultur- institutionen weder daran gebunden sein noch damit einhergehen, dass Spoken- word deren Ausschlussmechanismen und Publikationsformen übernimmt oder sich durch Förderstrukturen dazu gezwungen sieht, die eigenen Repräsentationsräume zu verlassen bzw. zu verändern.


  • Wir fordern eine Förderung des deutschsprachigen Spokenword.

    Spokenword hat im deutschsprachigen Raum eine enorme Vielfalt an beachtenswerten künstlerischen Positionen hervorgebracht, deren Potenzial aber durch wiederholte Zurückweisungen seitens der Institutionen und kulturpolitischer Entscheidungsträgerʾinnen brachliegt.

    Die anhaltend dominante Fokussierung von Förderprogrammen auf die Print- Publikation wird der Multi-Medialität von Spokenword nicht gerecht und produ- ziert insofern Ausschlüsse. Die Einführung alternativer Publikations- und Einrei- chungsformen ist unabdingbar.

    Wir fordern die Öffnung bestehender Förderprogramme für Spokenwordkünstler- ʾinnen sowie die Schaffung eigener Stipendien, Preise, Projekte und Programme.

  • Danielle de Picciotto, Dean Ruddock, Dirk Hülstrunk, Josefine Berkholz, Ken Yamamoto, Miedya Mahmod, Samuel J. Kramer, Tanasgol Sabbagh, ተመስገን ተስፉ (Temye Tesfu) und Timo Brunke am 07.08.2021 in Hausach.